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Eine einzelne rote Tulpe im Beet von gelben Tulpen. Anders sein in Gruppen.

Die Gruppe als Identität - Gruppennorm, Gruppenkonflikte und die Angst vor der eigenen Meinung.

Wenn die eigene Persönlichkeit in der Masse untergeht.

Kritik ist etwas, das wir leicht vermeiden können, indem wir nichts sagen, nichts tun und nichts sind.

(Aristoteles)

Wir alle haben eine Persönlichkeit.

 

Wir alle sind geprägt von unserer eigenen Geschichte und Herkunft, haben bestimmte Stärken und Schwächen und unsere eigene Auffassung vom Leben, ein eigenes Lebensgefühl. Wir sind verschieden - und das ist auch gut so!

 

Wir haben ein ethisches Verständnis, sind emotional oder eher wissenschaftlich, wir sind Einzelgänger oder Cliquencharakter, wir ziehen tiefe, lange Freundschaften vor oder sind eher wie ein Blatt im Wind, das viele Menschen um sich herum braucht und sich schnell eingefangen und in Beschlag genommen fühlt. Wir sind Denker, Künstler, Analytiker, mütterlich, jugendlich, väterlich - oder Lebenskünstler.

Der eine liest mit Leidenschaft, der andere ist lieber draußen in Natur. Der dritte ist vielleicht ein Bastler und die vierte ist völlig glücklich damit, Musikerin zu sein.

 

Doch auch in unseren grundlegenden Einstellungen haben wir verschiedene Schwerpunkte und Sichtweisen - und ja, es gibt sogar unterschiedliche Arten zu denken, zu empfinden und sich selbst auszudrücken. Und dann gibt es noch unterschiedliche Temperamente und Talente- den Schweigsame, die Sanftmütige, die Feurige, die ehrliche Haut- erfolgsorientierte Menschen und solche, die Einfachheit vorziehen.

 

All das spiegelt Vielfalt und Fülle wider, wie eine bunte, wilde, wunderschöne Bergwiese im späten Frühling.

 

Gruppen jedoch geben vor, welchen Bedarf sie haben und welche Richtung wir einnehmen sollen, wenn wir zu ihr gehören und ihre Erwartungen erfüllen wollen.

Hier gilt es nicht mehr in erster Linie, seine Individualität auszuleben, sondern sich dem gemeinsamen Ziel zu verschreiben, das immer wieder auf die eine oder andere Weise neu definiert wird: Entweder durch Mehrheitsbeschluss

(demokratisch)- oder autoritär, durch eine starre, stark ausgeprägte Hierarchie.

 

Im letzteren Fall bestimmt eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft über die Richtung vieler, und gibt eine klare Ausrichtung vor, die für alle gültig sein soll.

 

 

Das, was erst einmal dem Gruppenerhalt dienen soll, wird schnell zur einengenden Struktur, wenn die Gruppenziele sehr dogmatisch, sehr kompromisslos verfolgt werden. Wenn Flexibilität und Empathie fehlt, steht schnell das Gesetz über den Gruppenmitgliedern- die Gruppe wird zum Selbstzweck.

 

Doch auch ohne eine solch rigide Struktur kommt es schnell zu Konflikten, etwa, wenn man der Meinung der Mehrheit nicht folgen kann. Schnell stellt sich in diesen Momenten das Gefühl ein, dass man vielleicht unrecht hat. Der Grund hierfür liegt in einem psychologischen Phänomen:

Wenn eine Mehrheit etwas objektiv falsches als richtig erklärt, schwanken auch die, die es als falsch erkannt haben und nehmen oftmals die Falschaussage als richtig an. Was "der Schwarm" glaubt, muss richtig sein!

 

Was macht das mit dir, mit jedem einzelnen in einer Gruppe?

 

Nun, man passt sein eigenes Denken und Handeln bestmöglich an, um weiterhin Anerkennung zu erfahren.

 

"Das macht man hier halt so, das ist eben richtig so in diesem Rahmen".

 

Mit wachsendem Wir-Gefühl, also, umso mehr man sich mit der Gruppe identifiziert, desto mehr steigt auch der Druck, die Gruppennorm, also die entsprechenden Ansichten und Handlungsweisen einzuhalten. Dahinter steht die Angst, ansonsten diese Sicherheit zu verlieren und ausgeschlossen und gemieden zu sein. Man will einfach nicht zum Außenseiter werden!

Die Psychologie spricht hier von einem Majoritäts- also Mehrheitsdruck und/oder von einem Autoritätsdruck, der auf dem einzelnen, dir, lastet. Das zweite ist der Fall, wenn man sich unfreiwillig anpasst, weil sich die Gruppenmitglieder einer Autorität anpassen, die Macht über sie hat und ausübt.

 

 

Und genau hier geschieht etwas, das als erster gefährlicher Stolperstein den Weg kreuzt:

 

Weil man dazugehören will, passt man sich der Mehrheit an, auch, wenn es der eigenen Persönlichkeit und Einstellung widerspricht, einfach, weil man weiter dazu gehören will.

Das eigene Verhalten orientiert sich nicht mehr an sich selbst, an den eigenen Werten, sondern an den Werten und Vorstellungen der Gruppe - das eigene Ich, die eigene Persönlichkeit steht zurück.

Man verschreibt sich ganz den Zielen einer Ideologie, anstatt weiterhin man selbst zu bleiben, und übernimmt Handlungsweisen und Verhalten, die nicht einem selbst entspringen, sondern der Gruppe. Man geht mit dem Flow, hört auf, selbstbestimmt zu sein.

 

Wenn sich jedoch innere Zweifel nicht einfach so abstellen lassen, dann gerät man in einen inneren Zwiespalt zwischen der eigenen Gruppenidentität und der eigenen Persönlichkeit.

Das kann der Fall sein, wenn moralische Entscheidungen nicht mitgetragen werden können, weil sie dem eigenen Wertesystem grundsätzlich widersprechen. Das kann der Fall sein, wenn man selbst anderes erfährt, als das, was in der Gruppe als wahr gilt. Daraus entsteht eine innere Zerrissenheit, die mehr und mehr zutage tritt. Solche Prozesse sind erst einmal nicht schlimm. Zweifeln darf man. Infragestellen ist erlaubt und gesund.

Gefährlich wird es allerdings, wenn dann der Gruppenzwang und Gruppendruck greifen:

Unter Gruppenzwang versteht man die Einflussnahme anderer Gruppenmitglieder auf jemanden, der eine andere Meinung vertritt. Dieser Gruppenzwang ist negativ, nicht positiv zu bewerten. Man versucht mit allen Mitteln, den Einzelnen wieder auf Spur zu bringen- nicht selten mit der Drohung, dass ansonsten die Konsequenz Ausschluss aus der Gemeinschaft und Abbruch der Zugehörigkeit ist. Und praktisch sieht es so aus, dass mehrheitlich die eigene Wahrheit in Frage gestellt und als falsch eingestuft wird.

 

Das Resultat ist häufig, dass die Gruppenmeinung wieder übernommen wird, man völlig mit dem Strom schwimmt, eigene Meinungen aufgibt. Die Gruppe übernimmt jetzt nicht mehr nur die Aufgabe einer Gemeinschaft mit gleichen Interessen und Zielen, sondern wird alleiniger Identitätsstifter. Man gibt seine Persönlichkeit auf.

 

Warum tut man sowas, und wie kommt es so weit?

 

Nun, die Gründe sind in der Regel innere Unsicherheit, fehlender Mut, zu seinen eigenen Standpunkten auch gegen eine Mehrheit zu stehen und diesen zu verteidigen. Man hat einfach Angst, zum Außenseiter zu werden. Bleiben die inneren Konflikte bestehen, wird man sich innerlich (und manchmal auch aktiv) zurückziehen - denn wenn die eigene, individuelle Auffassung von der Allgemeinheit abweicht, dann ist Schweigen eine übliche Reaktion.

 

Das, was bis hierher in einer gesunden Gruppe noch abgefangen werden kann, weil persönliche Grenzen nicht angetastet werden und die eigene Privatrolle beim Verlassen eines Sportvereines etwa wieder voll angenommen werden kann, rutscht in Gemeinden gefährlich schnell in den Bereich des spirituellen Missbrauchs ab.

 

In einer gesunden Gemeinde, die ihre Mitglieder freilässt, in der eigene Meinung und kritisches Hinterfragen gewollt ist und als Wachstumsschritt aufgefasst wird, ist der offene Austausch möglich und die Leitung ist nicht autoritär - sie wird bei aufkommenden Konflikten einen Konsens suchen, einen Austausch auf Augenhöhe ermöglichen. Eine gesunde Gemeinde wird unterschiedliche Haltungen zu Themen aushalten können, und die Vielfalt in der Gemeinde fördern, ohne mit Drohungen oder Angst schüren zu reagieren. Ein gesunder Leiter/ eine gesunde Gemeindeleitung wird immer bereit sein, zu unterstützen, zu fördern und der eigenen Persönlichkeit Raum zu geben- und nicht in die Privatsphäre ihrer Mitglieder eingreifen noch diese zu kontrollieren suchen.

 

Wo dies nicht gegeben ist, sondern Gruppenzwang und Autorität vorherrschen, wo sogar der Verlust der Individualität als Ziel gesehen wird, und wo Mitglieder das Wohl der Gemeinde über das eigene Wohl stellen müssen, spricht man von spirituellem Missbrauch.

 

 

Wie spiritueller Missbrauch erkannt werden kann und was genau spiritueller Missbrauch ist, darum geht es im nächsten Artikel.

Quellen: In Dankbarkeit und Achtung für die jeweiligen Projekte und Aufklärungsarbeiten:

https://www.deutschlandfunk.de/spiritueller-missbrauch-ich-passte-ins-beuteschema-100.html

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenzwang#:~:text=Gruppenzwang%20%28auch%20Konformit%C3%A4ts%20-%20oder%20Gruppendruck%2C%20engl.%20unter,der%20Zugeh%C3%B6rigkeit%20gilt%20und%20die%20Gruppe%20begrenzt%20ist.

https://www.youtube.com/watch?v=oI9Xkp5_YEI

 

Mit Dank an Prof. Dr. Samuel Pfeifer für eine wirklich gute Vorlesung.

 

"Die Welle"- Morton Rhue.

 

sowie reichlich persönliche Erfahrung und Recherche.

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