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Käsebrötchen und Brother Lawrence in der Klosterküche





Mann, der Kartoffeln schält. Hände, die schälen.
Mann, der Kartoffeln schält. Hände, die schälen.




» Die gute, alte Zeit! Damals war noch alles rein, pur und harmonisch, und nicht so hektisch wie heute …«


Hübsche Mädchen, kaum 17, tanzen Reigen unterm Maibaum. Fröhliche, wohlerzogene Kinder in sauberer Kleidung spielen lachend und fröhlich singend auf blumenübersäten Wiesen, im Hintergrund die Alpen mit schneebedeckten Gipfeln. Und der Bach weiß garnicht wohin mit all den Forellen, Lachsen und bunten Kieseln, die eifrige Kinderhände zu Staudämmen auftürmen. Im Kloster kopieren geübte Schreiber in kunstvoller Kalligraphie die wundersamsten, wertvollsten Bücher; Goethe schreibt den Faust, und jeder ist zufrieden mit sich und der Welt. Jaja, die gute alte Zeit, in der jeder noch wusste, wo sein Platz war!


Und dann schaut man raus, oder? Auf hektische Straßen, in subtil frustrierte und genervte menschliche Gesichter, die zum nächsten Termin hasten. Auf Betonwahnsinn und Lärm. Auf hupende, genervte Autofahrer und in die verhärmten Gesichter der überarbeiteten Bevölkerung. Enttäuschte Gesichter sind es, verängstigte, gehetzte Gesichter. Man hört Nachrichten, die einem in den Ohren und noch mehr im Herz schmerzen. Merkt selbst, wie die eigenen Werte flöten und die Lebensfreude verlustig geht im Getriebensein, im ständigen Performen, im Anspruch des Erwachsenseins.


Wir alle haben eine Tendenz zum Verklären und Romantisieren, insbesondere immer dann, wenn die Zeiten hart werden, anspruchsvoll und irgendwie hoffnungslos. Was hat das Leben nicht alles versprochen zu sein? Aber wo bleibt das Leben zwischen Wäschebergen, Job, Familienkonflikten und einem zunehmenden Zerfall sozialer Strukturen? Gehetzt rennen wir an unserem Leben vorbei und erhaschen nur gelegentlich einen Blick auf das, was möglich wäre.


Ich habe im letzten Jahr ein Buch geschrieben. Im Vorfeld erschien mir diese Vorstellung total romantisch, und um ehrlich zu sein: Ich bin froh, dass ich vorher nicht wusste, was auf mich zukommt. Romantisierung erhebt uns. Sie treibt uns an, Ideale zu leben. Und sie wischt mit einem energischen ›nix da, das wird gut!‹ einfach alle Berge, Stolpersteine und Hindernisse aus dem Weg. Da ist ein Ideal, das wollen wir haben! Und alles, was sich dagegenstemmt, ist einfach nicht real, nicht gewollt, nicht echt.


Aber ist es so einfach?

Oder braucht es mehr, um Hoffnung, Vision und Ideale wirklich zu leben?


Eine meiner Lieblingspersönlichkeiten ist der französische Mönch Brother Lawrence. Er ist bekannt geworden einzig und allein, weil irgendwann irgendjemand auf die Idee gekommen ist, seine Seelsorgebriefe zu veröffentlichen. Und zu seiner Zeit war er bekannt deshalb, weil er eine Freude ausstrahlte, die unbegreiflich war.


Brother Lawrence lebte, wie der Name mit Leichtigkeit verrät, in einem katholischen Kloster. Ob und wenn, wie sehr dieses Leben seine bewusste Entscheidung war, wissen wir nicht. Es ist fragwürdig, dass er schon immer ins Kloster wollte. Selbst dort nämlich scheint er nicht zu sehr viel mehr getaugt zu haben als dazu, Kartoffeln zu schälen. Und naja: Irgendein Sohn – meistens der mit Behinderung oder der Erbletzte ohne Land und Güter – landete damals immer auf Umwegen im Kloster. Brother Lawrence wird von Zeitgenossen als tollpatschig, ungeschickt, irgendwie nicht recht beisammen beschrieben. Er ist weder Glaubensheld noch der angesagte Prediger. Aber er hat etwas gefunden, das ihn unterschied: Er hatte Freude an Gott, ja, man könnte sogar sagen: Er kuschelte mit Gott. Äußerlich war dieser Mann nichts besonderes: Weder schön noch erfolgreich, kein Krieger noch zweiter Casanova, kein Geschäftsmann oder auch nur Abt. Nein: Er schälte Kartoffeln, ziemlich lange Zeit und immer wieder. Für alle im Kloster. Jeden Tag. Berge von Kartoffeln. Die Klosterküche wird zumindest warm gewesen sein, überdurchschnittlich warm, wegen der Feuer – und damit angenehmer als die Schreiberstuben, die so kalt waren, dass Novizinnen und Klosterschülerinnen in ihren Briefen klagten, dass ihre Füße Erfrierungen hatten und die Finger steif wurden.


Brother Lawrence ist der romantisierte Idealchrist der Mystiker, der Charismaten schlechthin. Und ich glaube aus der Distanz, mit einer gehörigen Portion romantischer Verklärung, verstehe ich das. Er fühlte Gott. Er liebte Gott. Er lebte in der Präsenz Gottes. Er dachte Tag und Nacht über Gott nach. Er war zufrieden damit, ein einfacher Torhüter im Haus Gottes zu sein. Was er fand, war unermesslich: Nähe, Hoffnung, Freude, Weisheit. Frieden und Bedeutung. Was er nicht fand, waren Anerkennung, Erfolg, Bedeutsamkeit, jedenfalls nicht zu seinen Lebzeiten. Sein Leben war ein hartes Leben, voller Entbehrungen, strenger Regeln, Armut und Bescheidenheit. Und dennoch: Gerade darin fand er Gott.


Aber was haben Käsebrötchen damit zu tun?


Nun, es ist mein Impuls, dass du darüber nachdenkst, wie du Gott in einem Alltag finden kannst, der vielleicht nicht hält, was die große Vision versprochen hat: Findest du Gott beim Gartenbeet umgraben? Beim Käsebrötchen backen? Findest du seine Gegenwart in kleinen, ungesehenen Gesten des Dienens? In deinem Alltag, dann, wenn die Sonne dich daran erinnert, dass der Sturm nur in dir tobt?


Ich finde Gott oft in solchen Momenten. Als ich Hybride Herzen schrieb, war ich wie in einer Klosterzelle. Und es nahm kein Ende: Die soziale Isolation. Die Stunden am Schreibtisch. Was geplant war als ein eher leichtes Buch, wurde eine theologische Reise. Und währenddessen machte mich Gott zu einer der Geringsten: Mit einem Helferjob, mit wenig Einkommen. Mit Stunden im Feld, betend, ringend, lachend, weinend. Er nahm alle externe Hilfe weg und warf mich auf sich. Und wenn ich heute zurückblicke, dann sage ich: Es war dieses Herausgenommen-sein, das mir die größte Gottesnähe bescherte.


Wie oft wollte ich endlich raus in die Welt?

Ich verrate dir etwas: Ich bin wieder draußen, ausgesendet, zurück aus der Klausur. Und oft sehne ich mich nach dieser Intimität, nach dieser absoluten, ungestörten Nähe zu Gott.


Also: So wie Brother Lawrence sie fand, ohne zu streben, in dem er einfach tat, was ihm vor die Füße fiel, so wie ich die Herausforderung annahm, mich der verordneten Stille hinzugeben und zu tun, was ich tun musste: Tagein, tagaus, stundenlang, so probiere es vielleicht auch mal aus. Denn ehrlich? Nein, es gibt keine romantisch-verklärte Realität.

Aber es gibt Fenster, durch die die Vögel zwitschern. Und umso bewusster du sie hörst im Lärm der Welt, desto näher kommst du Gott.


Und ob er dir Erfolg beschert oder nicht – nun, das, was er als Erfolg sieht, ist etwas anderes als das, was wir darunter verstehen. Oft sind es die kleinen, etwas ungeschickten, zurückgelassenen, unbedeutenden kleinen Leute, die die größten Segnungen erfahren.


Alles Liebe.

Sibylle.


• Versuche einmal alles, was du tust, für Jesus zu tun. Mit Jesus zu tun. Auf ihn zu werfen. Und nimm alles an, was er dir gibt. Und kuschle mit ihm. Wie Brother Lawrence. Wie hört sich das an?








 
 
 

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