(Sibylle Töller; Hybride Herzen. Auszug; alle Rechte vorbehalten)
Eine konfrontierende Aussage.
»Christen lügen nicht, das kann doch nicht sein Ernst sein! Als ob das so wäre!« Fassungslos stand die geschätzte Kollegin an meinem Schreibtisch, während in mir ein Licht aufstrahlte, ein nahezu freudiges Erschrecken. Ich schaute auf, ein zugewandtes Schmunzeln in den Augenwinkeln, lächelte sie von meinem Bürostuhl aus an. Ich legte die Akte mit einer anderen Anfrage zur Seite und antwortete im Brustton der Überzeugung: »Doch, er sagt die Wahrheit. Christen dürfen nicht lügen, sie müssen bei der Wahrheit bleiben. Das ist eine der Regeln, die wir befolgen sollen.« Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, die Fäuste ballten sich. Wütend, nein, zornentbrannt äffte sie den Tonfall des armen Klienten nach, um ihrem aufgewühlten Herzen Luft zu verschaffen: »Ich bin Christ. Christen lügen nicht, das ist uns verboten. Sie können mir vertrauen!« Sie prustete, schüttelte ihren Kopf und schloss: »Nö, der muss genauso Nachweise bringen wie jeder andere auch! Weil ich Christ bin! Wäre ja noch schöner!« Mit diesen Worten rauschte sie aus meinem Büro. Irritiert wirkte sie bis ins Mark, entschieden, diese Behauptung nicht als belastbar, sondern als null und nichtig einzustufen. Noch am selben Tag forderte sie jene Unterlagen nach, die den Wahrheitsgehalt seiner Aussage beweisen sollten.
Diese Situation riss mich aus dem gewohnten Trott des klar geregelten Arbeitstages auf dem Amt, und damit eben fern von den Fragen christlicher Gedankenwelt. Gerne hätte ich erfahren und gesehen, wer dieser mutige Zeugnisgeber denn war – und ob er die Worte aufrichtig sprach. Ich habe niemals vergessen, was er sagte, weil es in mir tiefen Respekt für ihn auslöste und mir gleich darauf tausend Fragen auf einmal durch den Kopf gingen. Gottes Wahrheit war unmittelbar in unsere Welt eingebrochen. »Wenn alle Christen nur so wären und das verstanden hätten!« Freude, Sehnsucht und der seltene Genuss einer ungetrübten Wahrheit, rein und klar, wärmten mein Herz.
Im Regelfall verbuchen wir solche kurze Episoden als einen kleinen Gruß des Himmels, um uns anschließend wieder dem Alltag zuzuwenden. Doch mich erwischte diese spezielle Begebenheit wie der Fassanstich auf dem Oktoberfest. »O`zapft is!«, und schon fließt das Bier in Strömen. Nur dass es kein frisches Münchner Bräu war, das hier zu einer erfrischenden, reichlichen Quelle wurde, um meinen Durst zu löschen, sondern ein frischer Wind, der mich umwehte. Er führte mir deutlich vor Augen, wie sehnsüchtig ich nach solch echter Klarheit unter Christen verlangte. Ein heiliges Verlangen, ein ehrfürchtiges Streben, kurz und gut: ein vollkommener Traum. »Es wäre möglich, wenn wir alle es einhielten,« flüsterte er mir zu.
Bedauerlicherweise – und das muss an dieser Stelle gesagt werden – hatten wir beide recht, die Kollegin und ich. Ja, es ist wahr, dass es Christen geboten ist, nicht zu lügen, und ja, das, was dieser unbekannte Bruder da für sich beanspruchte, war skandalös. Konfrontierend. Wie ein zweischneidiges Schwert zerschnitt Gottes achte Gebot die Luft, separierte Böcke von Schafen. In einer solch lässigen Selbstverständlichkeit ausgesprochen, erhielt die Aussage ›Christen lügen nicht!‹ derartige Schlagkraft, dass sie dafür sorgte, diese gefallene Welt mit der Andersartigkeit von Jesus – Nachfolgern radikal zu konfrontieren. Die Realität aber, und so zuckte ich hilflos die Schultern und intervenierte nicht, sieht völlig anders aus: Nein, belastbar ist eine solche Aussage nicht, denn selbst Christen lügen, tricksen, betrügen viel zu häufig oder wählen krumme, doppelte Wege.
Wohin wehte mich dieser frische Wind nach dem kleinen Intermezzo? Er wirbelte eine ganze Reihe ernster Fragen auf, um deren Beantwortung ich begann, mit Gott zu ringen…
Was geschähe, wenn diese Aussage des Bruders wahr wäre? Belastbar, immer gültig?
Was verkörperten wir, welche Außenwirkung eilte uns voraus?
Was, wenn diese Aussage derart real und erfahrbar wäre, dass meine Kollegin ihren Wahrheitsgehalt hätte anerkennen müssen, statt ihn empört vom Tisch zu wischen?
Wie fühlte es sich an, wenn die bitteren Vorwürfe an die christliche Kirche haltlos verstummten? Aus dem simplen Grunde heraus, dass Christen ihren Auftrag sicher, klar, verlässlich erfüllten? (Und das auch noch leichtherzig und freundlich?)
Auf der anderen Seite wurden Fragen über diese tiefe Ablehnung aufgeworfen: Die Reaktion meiner Kollegin war emotional, ja, nahezu überbordend sarkastisch. Etwas rührte diese Aussage offensichtlich an, das hinter der verächtlichen Abwehr lauerte…Woher kommen diese Vorwürfe von jenen, die unseren Glauben nicht teilen? Warum sind die Anschuldigungen so emotional, so derart tief verankert, und platzen aus ihnen heraus wie eine vergrabene Bitterkeit?
Ich bin heute – mit Blick auf meinen langen Weg mit Jesus und durch die christliche Gemeindelandschaft – überzeugt: Es ist enttäuschte Hoffnung, häufig verursacht von unreifem, ja, verletzendem Verhalten von Christen, was viele Menschen davon abhält, Jesus zu finden. Er selbst und das, wofür er steht, wird selten abgelehnt. Von Freunden eng umgeben, die ihn nicht kennen und die meinem Glauben kritisch, ja, ablehnend gegenüber stehen, höre ich die immer gleichen Vorwürfe. Ihnen gemeinsam ist eine unterschwellig ungeduldige und angestaute Aggression…
»Wie könnt ihr beanspruchen, besser zu sein als der Rest der Welt?«
»Was ist mit jenen, die Jesus nie begegnet sind – sind alle von ihnen verdammt in deinen Augen?«
»Wie kann ein Gott so ungerecht sein, so selektiv und narzisstisch?«
»Ich dachte immer, Christentum hätte etwas damit zu tun, dass man sich gegenseitig hilft! Geht es da nicht darum, dass man verlässlich ist, dass man was tut, anstatt nur schön daherzureden und andere Menschen auszuschließen?«
»Sollte es da nicht um etwas Gutes, etwas Reines gehen? Ihr verurteilt und hasst doch nur!«
Enttäuschung hängt nach diesen Fragen in der Luft wie der mockernde Geruch von Mülltonnen im Sommer. Genährt wird er von Frustration, Abwehr und dem Vorwurf der Heuchelei. Der Grund ist hauptsächlich die Ablehnung all dessen, was anstelle jener Reinheit und Hoffnung über Christen durch Skandale, Kindesmissbrauch, Sektenstrukturen, biederem Kleinbürgertum und fanatische Härte bekannt wird. Nicht selten sind die Anklagenden Opfer dieser Strukturen oder gar seelischen Missbrauchs geworden.
Ja, die Vorwürfe an die Christenheit jedweder Couleur werden wie zornige, enttäuschte Feuerpfeile auf uns abgeschossen, und es ist der leichteste, der bequemste Weg zu sagen: »Es ist Satan, es sind die Dämonen, die das Bild der Kirche in der Öffentlichkeit dieser Welt verzerren, es ist nur ein geistlicher Kampf.« Oder: »Die Pfingstler sind schuld, die Tele-Evangelisten sind schuld, die Irrlehrer, die katholische Kirche sind schuld, aber das kann ich persönlich ja nicht ändern.«
»(…) Die Frau, die du mir zur Seite gegeben hast, (…)«*
»(…) Die Schlange hat mich getäuscht (…).«**
Hörst du das Echo selbst? Nein, ich fürchte, so leicht kommen wir persönlich aus dieser Nummer nicht heraus. Bei allem ernsthaften Bekenntnis zur geistlichen Welt und dem tobenden Krieg zwischen Satan und Gott, Lüge und Wahrheit: Das Abschieben von Eigenverantwortung hat schon in Eden nicht funktioniert.
Der geistliche Kampf ist nur ein Teil der Wahrheit, der alleine zur Begründung herangezogen unsere Selbstprüfung ablehnt. Gleichzeitig ist es in erster Linie genau jene fehlende Glaub- und Vertrauenswürdigkeit, die uns in den Augen Nicht-Gläubiger zu einem Haufen weltfremder Spinner macht. Und ich meine, zu Recht: Eine solche Einstellung lässt uns mit geschlossenen, verklebten Augen all das ignorieren, was stillschweigend unter den Teppich gekehrt wird. Diese Herzenshaltung reflektiert die bemühte Handlung von Menschen, Steinchen aus dem Vorgartenrasen des modernen Einfamilienhauses zu sammeln und somit darüber hinwegzutäuschen, dass im Wohnzimmer Ehehölle und Missbrauch toben. Das Ziel ist ein bequemes, ein leicht gemachtes: Die äußere Ordnung; der Schein bleibt gewahrt, die Dunkelheit verborgen.
Jesus nennt diese Vorgehensweise beim Namen: Er bezeichnet sie als Heuchelei, er hat keine freundlichen Worte für solches Verhalten. Menschen fordern Echtheit, kongruentes Auftreten ein. Wem du deine Seele anvertraust, ist eine heikle, eine tiefgreifende Frage – und umso verletzter die eigene Geschichte, desto mehr belastbarer Grund wird eingefordert. Wem das vermeintlich sichere Haus einmal wegbrach, der wird das nächste Mal nur dann bauen, wenn das Fundament in Fels geschlagen ist. Nein, Treibsand und sumpfiges Gelände ziehen niemanden auf der ernsthaften Suche nach Vertrauen, Ausrichtung und Wahrheit an, und es wird Zeit, dass wir uns diesem Umstand stellen.
Sind wir also Türsteher unserer eigenen elitären Clubs? Sind wir zu jenen mutiert, vor denen Jesus uns so eindringlich gewarnt hat? Ja, ich fürchte, dieser Ruf eilt uns voraus, und dies ist ein gefährlicher Weg, der in die Irre, nicht ans Ziel führt. Ein solcher Weg lässt Jesus nicht in uns lebendig werden, wir werden auf diese Weise nicht Salz und Licht, Wahrheit und Hoffnung für diese Welt. Das jedoch ist unser aller Auftrag. Wir repräsentieren Jesus allem Anschein nach außen hin nicht auf eine Art, die Nichtgläubigen eine echte Alternative zu ihrer inneren Suche bietet. Ja, ich wage zu sagen: Wir haben Gottes Versprechen und Wahrheit nicht tief genug verinnerlicht, um sie wirkungsvoll in fließender Sprache, ohne Stammeln und frei von frommen Plattitüden zu vermitteln.
Wir haben die Erkenntnis unseres Auftrages und Bundes mit Gott auf weiten Strecken verloren. Stattdessen hängt das moderne Christentum in den Grabenkämpfen unterschiedlicher Auffassungen und philosophischer Streitgespräche fest – zwischen dem emotionalen Lobpreis und dem Kaffee nach dem Gottesdienst sind wir innerlich eingeschlafen. Menschliche Weisheit und theologische Gelehrsamkeit treten an die Stelle des Auftrages des praktisch gelebten Glaubens. Ich weiß aus zahlreichen Gesprächen mit Glaubensgeschwistern, aus Podcasts, christlichen Büchern und Predigten, dass ich mit aufgeworfenen, sehnsüchtigen Fragen nicht alleine da stehe…
Was hatten sie, die Apostel, dass wir nicht haben, nicht repräsentieren? Welchen Schlüssel der Erkenntnis haben wir verloren, wie es Paulus in Apostelgeschichte schon beklagte?
Was strahlten die ersten Christen aus, wie präsent war der Heilige Geist in ihnen, dass sich die Massen freudig bekehrten?
Waren es die Zeichen und Wunder, die zu Massenbekehrungen führten, wie die Neocharismatiker es oft entgegen aller Nachprüfbarkeit behaupten? Oder verkörperten sie doch etwas anderes, jene frühen Christen und Zeitzeugen, das eine Hoffnung brachte, die weit über Heilung und Zauberkunst hinausging?
Das, was uns Klarheit bringen kann, ist eine bodenständige Portion gesunden Menschenverstandes: Was wir verloren haben, muss ja irgendwo vergraben sein. Häufiger als nicht liegt der Schlüssel, den wir suchen, offen auf dem Tisch. Er tut es so lange, bis wir aufhören, panisch die Schubladen zu durchwühlen und mehr Chaos zu produzieren als notwendig wäre.
Ich freue mich darauf, zusammen mit euch in eine Welt des Bündnisses zwischen Gott und den Menschen einzutauchen und diesen Schlüssel der Erkenntnis zu suchen. Ich bin überzeugt, er ist nicht schwer zu finden und hat etwas mit der Quintessenz der großartigen Geschichte zu tun, die uns zwischen den Zeilen der Bibel entgegenschlägt. Lasst uns tief eintauchen in die Bedeutung einer aufrichtigen Beziehung zu Gott im ungeteilten Herz, das ihn nicht nur sucht, sondern auch verkörpert. Lasst uns entdecken, wie groß und wundervoll das Versprechen ist, das uns gegeben ist, damit wir diese Hoffnung und Freude auch authentisch weitergeben und vermitteln können. Gottes Geschichte mag verschachtelt sein. Sie nimmt zahlreiche Seitenwege. Sie besteht oft aus unerträglich vielen Einzelteilen, die sich und unserer Realität auf den ersten Blick widersprechen. Aber es ist wie mit einem Wollknäuel: Sobald du einmal den Anfang wiedergefunden hast, entwirren sich die Fäden wie von selbst.
Lasst uns das theologische Wollknäuel Schritt für Schritt in Angriff nehmen, sodass wir dem Weg, der Wahrheit und dem Leben wieder befreit und mit sicheren Tritten folgen können! Ich lade euch ein, mich auf eine Reise durch tiefes Gebundensein und hohe Befreiung zu begleiten. Wir haben ein festes Ziel vor Augen: Wäre es nicht erstaunlich, wenn Menschen wie meine Arbeitskollegin, die Jesus nicht kennen, zukünftig auf diese Weise antworten müssten, anstatt verächtlich die Nase zu rümpfen?
»Da war gerade jemand, der sagt, er sei Christ, und Christen würden niemals lügen. Ich könne ihm vertrauen. Weißt du: Er hatte eine Ausstrahlung, die ich mir nicht erklären kann, aber ich glaube, da ist was dran! So unglaublich es auch sein mag ...«
Ich bin gespannt, was wir alles finden, bis wir das Ziel erreichen. Ihr auch? Auf geht's, Rucksack schultern, Wanderstiefel anziehen und vergesst euer Taschentuch nicht! So, wie ich Jesus kenne, wird der Weg kurviger und steiler, herausfordernder und abenteuerlicher als wir anfangs vermuten. Doch ich weiß auch: Er endet mit Sicherheit in grünen Auen und bei stillen Wassern.
Seid ihr bereit für ein Abenteuer? Dann lasst die Tür ins Schloss fallen und tretet ein in die wunderbarste Geschichte der Welt!
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Fußnoten: *1. Mose 3,12; zitiert nach: Elberfelder Bibel 2006, © 2006 SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen (www.scm-brockhaus.de).
**1. Mose 3,13; Elberfelder Bibel 2006, © 2006 SCM R. Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen (www.scm-brockhaus.de).
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Ferner bitte ich um das sachliche Äußern von Kritik sowie um Mitteilung des persönlichen fachlichen Hintergrundes, auf dessen Grundlage diese geäußert wird. Selbst in Zeiten von Social Media ( kurz: SM) ist es angebracht, Kommentare entsprechend zu kennzeichen, sich vorzustellen und die Basis einer Kritik zu nennen. Für konstruktive, wertschätzende Kritik bin ich generell offen, auch für längere Einträge. In diesem Falle verweise ich auf das entsprechende Kontaktformular auf meiner Seite. Nachrichten, die dort eingegeben werden, erreichen mich persönlich und stören nicht die Leser…
Interessanter Ansatz - gerade in Zeiten wie diesen, in denen diverse Spannungsbögen (wie etwa die offensichtliche Diskrepanz zwischen hehrem Anspruch und zuweilen trostloser Wirklichkeit "christlicher Lebensgestaltung", oder der immer lauter nach Lösung rufenden Krisen und Katastrophen einerseits sowie dem weitgehend untätigen Einigeln vieler Christenmenschen andererseits, ...) zwischen sich polarisierenden Gegensätzen in der Zerreißprobe befinden. Eine Einleitung, die Lust auf mehr macht . . . . bin gespannt, zu welchen Schlüssen Du in Deinem Buch kommst (in der zuversichtlichen Hoffnung, dass diese nicht nach "Schema F" gestrickt, sondern Deinem Ringen um Klarheit gemäß "fresh fruits" 😉 sein werden)! In diesem Sinne: Vorfreude auf "Endprodukt"! 🙂
Kompetente Leute haben entschieden, dass dieses Buch super ist. Gerade der Schreibstil, flüssig und auch für mich als Nichtakademikerin verständlich, lässt mich nach jeder Leseprobe lechzend nach der Fortsetzung zurück, da ich für mich persönlich sehr viel mitnehmen kann. Über- drüber- Bücher langweilen mich nach kurzer Zeit. Bewundere auch die sicher zeitaufwendigen und akribisch aufgelisteten Recherchen.