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"Let my people go!" Warum ein Abschied oft der Ruf in Freiheit ist


Video, mit Lyrics. Sonnenuntergang am See. Lied: Alabaster von Rend Collective

Es ist nicht leicht, etwas hinter sich zu lassen, das den Großteil des eigenen Lebens geprägt hat. Es ist vertraut, so wie eine Heimatstadt vielleicht vertraut ist. Man geht die Wege automatisch, mit geschlossenen Augen. Man weiß, wo man was findet, wo die schönen Plätze sind - und sie alle erzeugen ein Echo, eine Welle von Emotion, Erinnerung, Heimat. Und so erinnere ich mich. Ich erinnere mich an so viel, und mein Herz wird schwer, traurig, vielleicht manchmal melancholisch. Es fühlt sich beraubt, obwohl sich eine Hand sanft, aber bestimmt auf meine Schulter legt und mit Entschiedenheit sagt: "Komm. Es ist Zeit. Es ist Zeit, zu gehen." In meiner Hand? Ein Rucksack, gefüllt mit dem, was ich mitnehme, während ich das Haus hinter mir brennen sehe, den verräterischen Rauch aufsteigen sehe, der nach und nach Flammen schlägt. Ich weiß, wenn ich zurückschaue, in ein paar Jahren, wird nichts mehr vertraut sein, nichts mehr, wie es war. Und es hat schon begonnen.


Ich war lange Jahre Teil der evangelikalen Szene. Nicht, weil meine Eltern Teil von ihr gewesen wären, nicht, weil ich als Gemeindekind in diesen engen, oft abgegrenzten Strukturen aufgewachsen wäre. Nein. Ich kam freiwillig, wie eine Zugezogene, und vieles blieb mir fremd, erfüllte mich mit Skepsis, mit Fremdheit. Aber ich fand auch Heimat, irgendwo zwischen den dominierenden Straßenzügen. Ich fand viele Augenblicke tiefster Verbundenheit, und ich liebte diese Menschen, diese Atmosphäre. Am meisten aber, und das hat sich nicht geändert, liebte ich Jesus.


Wie beginne ich eine Seite, ein Projekt, das strukturellen Missbrauch benennt? Vielleicht, in dem ich erst einmal sage und erkläre, was das überhaupt sein soll- struktureller Missbrauch, was für ein Wort, ne? Gestelzt, technisch irgendwie. Aber wenn wir ihn nicht verstehen, dann ist für viele, die so wie ich gegangen sind, niemals klar, dass vieles, was sie erlebten, nicht persönlich war. Struktureller Missbrauch ist etwas, das dort entsteht, wo die Struktur, das Konzept, die Vision oder die Ideologie wichtiger wird als der Mensch. Und es sind Wellen, in denen Gott diese Strukturen immer wieder erschüttert. Er tut es, indem er Menschen herausruft, die Glauben wieder anders denken- und oftmals einfach ursprünglicher, einfacher, freier. Und befreit von dem Staub auf den Schränken, den keiner sehen will, dem Dreck unter dem Teppich, der dort gut aufgehoben schien.


In den 70er Jahren war die wohl eindrucksvollste Bewegung dieser Art die der Jesus People. Ich lächle. Haufenweise Jugendliche, junge Erwachsene, in bunten indischen Tops und barfuss. Irgendwo zwischen Los Angeles und San Francisco. Hungrig nach Liebe, mit Herzen gegen das System, gegen verstaubte Ansichten, voller Verzweiflung und Suche und Sehnsucht nach Echtheit. Nach Kaffee aus Espressokannen, nach neuen Wegen des Zusammenlebens, der Gemeinschaft, mit einem feurigen Herzen für Freundschaft und tiefe Mystik. Mitten aus diesem zornigen, widerspenstigen, realen, unverfälschten Haufen langhaariger Sinnsucher entstanden sie. Weil ein einzelner sagte: "Es reicht!" und die verschlossenen Kirchentüren öffnete. Und sie kamen. Und wuschen Füße. Und sangen. Und beteten. Und stellten alles auf den Kopf mit ihren Cafés, ihrer Liebe, ihren brennenden Herzen. Alabaster. Sie warfen sich auf den, der Heimat versprach. Sie beanspruchten ihn als ihren Herrn- und er nahm sie auf, so barfüßig und verwirrt, so drogenabhängig und heimatlos, so hungrig nach Leben, wie sie waren.


Ich glaube wirklich, dass damals alte Strukturen brachen. Sie begannen Djembe zu spielen, mit ihren Regenmachern Gott zu loben, sie brachten den Beat, die Freiheit, das Kommunenleben. Sie kamen- und mit ihnen kam auch alles, was sie aus Ägypten mitbrachten. Sie waren jung. Sie waren wild. Sie waren frei und entschieden, Jesus niemals zu verraten.



Doch das Leben, wisst ihr? Das Leben ist anders.

Ich frage mich oft, ob es möglich ist, dieses Feuer zu zähmen. Ob der Wind, Ruach, sich tatsächlich domestizieren lässt. In Konzepten. In Ministries. In Strukturen. Ich glaube, es ist nicht möglich, nein, ich glaube, Gott schaut lange zu. Doch wenn die Struktur wichtiger wird als die Menschen in ihnen, dann beginnt er leise, leise Feuer auf die Erde zu werfen. Er beginnt zu enthüllen, das Starre wegzuspülen im Wasser des Lebens. Nicht, weil er nicht ehrt, was zuvor für ihn erbaut wurde. Sondern weil Missbrauch einkehrt. Weil Kompromisse geschlossen werden. Weil Netzwerke sich erhalten, mit Gentlemen agreements, niemals die Arbeit des anderen zu kritisieren. Weil das System, das Ministry, der Name wichtiger wird als der Auftrag, und gesichert werden soll, was erreicht wurde. Um jeden Preis. Und wenn es auch heißt, Türen zu vernageln und Einzelne zu opfern.


Kontrolle. Macht. Hierarchie. Firmenstrukturen.


Solche Bewegungen fangen an auf Augenhöhe - doch schnell, wie bei Farm der Tiere, sind einige gleicher als die anderen. Gesalbter. Höher. Berufener. Und diejenigen, die ihnen nicht folgen, sind nicht konform, nicht erwünscht. Schnell mischt sich der Rausch des Erfolges mit Geldliebe, mit Schweigeabkommen oder mit dem langsamen Prozess, zu beschönigen, zu übertünchen. Mehr Bekehrungen im Newsletter als vor der Bühne, damit die Spendengelder weiterfließen. Ein bisschen Goldglitter, damit die Erfahrung der Erweckung weitergeht. Ein bisschen künstlicher Wind, damit der Heilige Geist spürbar wird. "Es hilft ihnen, zu glauben" sagte mal ein weltbekannter Evangelist, angesprochen darauf, dass er zuvor Gesunde in die Rollstühle setzte. Betrog, log, um Heilungen im Gottesdienst garantiert zu haben. Rechtfertigung. Um das Business laufen zu lassen. Und Kontrolle, um Kontrollverlust nicht weniger als Imageverlust zu vermeiden.


Struktureller Missbrauch ist der Erhalt des Erreichten um jeden Preis. Es ist das Stellen von Regeln über den Menschen, es sind Prinzipien, die ihre Werte verloren haben. Es ist das gezielte Ausschalten von denen, die es wagen, infrage zu stellen, die nicht konform sind, sondern Reform bringen. Struktureller Missbrauch ist Machtsicherung um jeden Preis, ist Ermahnungskultur, die Beschämungskultur ist, ist Walling, das bewusste Verweigern von Spiegelung. Entwertung, Entwürdigung, Gaslighting, gezielte Verwirrung des Gegenübers. Weil die Institution geschützt werden muss. Weil sonst Macht entgleitet. Geistlicher Missbrauch ist die endlose Panik vor Freiheit, Unsicherheit und Veränderung.


Wir müssen das verstehen. Was immer du gehört hast. Und ich sage dir, ich habe viel gehört: Dass Gott mich straft, wenn ich nicht aufgebe. Dass ich zuviel bin. Dass ich krank bin und mich zurückziehen solle, das ich jemanden brauche, der für mich Gott hört, weil ich anscheinend nicht hören könne.

Ich hörte es, nachdem sie mich ausschlossen, entwürdigten, ...um ihre Struktur zu schützen.



Alabaster Jar. Ein Projekt, das Verstehen schenkt- nicht neue Leitung. Nach und nach werde ich erklären, wie diese Methoden funktionieren. Ich werde Verdrehungen aufdecken. Das komische Gefühl benennen, das dich vor allzu süßer, süßer Frömmigkeit wegrennen lassen will. Das Gefühl, getroffen zu sein, 'obwohl es dein Gegenüber doch nur gut meinte'. Ich bin sicher: Was mehr hilft als jede Therapie ist Wissen. Verstehen. Erkenntnis. Denn wenn du die Muster durchschaust, wirst du frei.


Viel geschieht derzeit, das nicht wenige von uns sprachlos hinterlässt: Und mit jedem Betrug, mit jedem Fanatismus, Fremdenhass, jedem Übergriff, jeder Bücherbannung, jeder offen zutage tretenden Frauenfeindlichkeit bricht ein wenig mehr der alten Loyalität, und des eigenen Glaubens ...vielleicht auch. Weil du das nicht bist, nicht im selben Atemzug genannt werden willst. Ich auch nicht. Andere auch nicht. Also. Zeit, Ägypten zu verlassen, und in einem Zelt, in der Wüste neu anzufangen.


Es sind nur Narrative, und sie sind nicht gesund. Es ist nicht gesund, wenn die Nachfolger Jesu Macht sichern wollen. Das war es nie. Und du warst nicht falsch. Du warst nicht konform, nicht bequem. Und vielleicht hast du gehofft, dass du dich irrst, das sie aufwachen.

Aber ich sage dir: Jesus ruft die, die die Verletzten vom Schlachtfeld holt. Doch dazu...müssen wir selbst erst einmal heilen.


"8 Ihr aber, lasst ihr euch nicht Rabbi nennen! Denn einer ist euer Lehrer, ihr alle aber seid Brüder. 9 Ihr sollt auch nicht ⟨jemanden⟩ auf der Erde euren Vater nennen; denn einer ist euer Vater, ⟨nämlich⟩ der im Himmel. 10 Lasst euch auch nicht Meister nennen; denn einer ist euer Meister, der Christus. 11 Der Größte aber unter euch soll euer Diener sein." (Matthäus 23, 8ff; Elberfelder)

Ich hoffe, du begleitest mich. Mit einem Herzen voller Trauer vielleicht. Aber wissend, dass neue Strukturen oder eine Reform von innen es nicht richten wird.


Ich bin gespannt, wer mit mir kommt. Denn es wird Zeit.


Sibylle.


 
 
 

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Silberglitter, Deko
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Sibylle Töller 2025

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